20 Schritte Freiheit, Teil 2 Lyrics & Tabs by Samsas Traum

20 Schritte Freiheit, Teil 2

guitar chords lyrics

Samsas Traum

Album : Oh Luna mein gothic PlayStop

Der folgende Tag begann so wie immer: um fünf Uhr morgens wurde das Licht eingeschaltet, die Stimmen, die Rufe und das Gelächter der die Nachtbelegschaft ablösenden, mit dem ersten Bus eintreffenden Angestellten, drang von der unterhalb der Anstalt gelegenen Haltestelle an unsere Ohren. Wenig später liefen die Wärter in Dreiergruppen durch die Anstalt. Einer schlug mit einem Metallstab gegen die Gitter und weckte unsanft die Insassen, ein zweiter schob das Frühstück durch einen schmalen Spalt am Boden zu uns in die Zellen hinein. An letzter Stelle folgte ein weiterer Aufseher, der gelangweilt den das Essen beinhaltenden Wagen vor sich her schob.
„Hast du die Sache mit Albrecht mitbekommen?“, fragte Wärter 1 seine hinter ihm her schlurfenden, missmutig blickenden Arbeitskollegen. „Ja, dem Aas würd ich ordentlich eine verpassen und sie dann in die Gosse werfen“, fluchte Wärter 2 und ließ die nächste Essensration schwungvoll in eine Zelle schlittern. „Wieso? Was ist mit Albrecht?“, brummte Wärter 3, blieb stehen und ließ den Wagen los. Er richtete sich aus seiner gebeugten Haltung auf, rieb sich ächzend die Hüfte und sagte: „Macht seine Alte wieder Ärger?“ – „Ja, das Miststück hat sich die Gören geschnappt und ist einfach zu ihren Eltern abgehauen“, zeterte Wäter 1 und zog den verrosteten Stab in seinen Händen laut scheppernd über die Gitter wie einen Schlägel über ein Xylophon. „Weil er zu viel arbeitet, Nachts nie zuhause ist und den ganzen Tag schläft, und weil er sich am Wochenende nur besäuft“, fügte er knurrend hinzu. „In dem scheiß Staat hier musst du Glück haben, wenn du überhaupt irgendeine Drecksarbeit findest“, bemerkte Wärter 3, und schon das Vehikel ein Stück weiter. Wärter 2 pflichtete ihm bei: „Die Dame soll lieber froh darüber sein, dass sich ihr alter Herr die Nachtschicht in einer solchen Anstalt aufhalst und damit ihren Hintern warm hält“, sagte er und zog dabei die nächste Portion aus dem Frühstückswagen.
Bei den Wärtern handelte es sich um die scheußlichsten Gestalten. Jeder einzelne von ihnen war an die 2, 30m groß und kräftig gebaut. Am Ende ihrer wie Baumstämme wirkenden Beine trugen sie mit Stahlplatten beschlagene Stiefel, die an der Seite mit klappernden Schnallen verschlossen waren, ihre Arme steckten in Handschuhen, die fast bis zu den Schultern reichten, um die dicken Leiber der Männer waren schmutzige, abgetragene Lederschürzen gebunden, unter denen sich ihre Kugelbäuche abzeichneten. Die riesigen Schädel waren allesamt kahl rasiert, man konnte sehen wie sich die Haut im Nacken zu speckigen Wulsten zusammenquetschte. Alle Wärter hatten aufgedunsene Mondgesichter mit winzigen, dicht am Kopf anliegenden Ohren und riesigen, hervorgestülpten Lippen, die im kalten Neonlicht der Anstalt altrosa schimmerten. Sie blickten arglistig aus kleinen, zusammengekniffenen Augen, die durch die gelben Gläser ihrer schwarzen Plastikbrillen übernatürlich und karikaturesk vergrößert wurden.

Jetzt blieben sie vor Lazarus stehen. „Schau mal an, unser Lieblingspatient“, sagte Wärter 2. Die Männer glotzten hämisch in die Zelle und verschmierten mit den Handschuhen den Dreck auf ihren Brillengläsern. Lazarus, der nach seinem Zornesausbruch am Abend zuvor zusammengebrochen und auf dem Boden eingeschlafen war, sah die Wärter hasserfüllt an. Er wartete jeden Tag erneut auf den richtigen Zeitpunkt, ihnen die vielen ausgeteilten Demütigungen heimzuzahlen. „Na, haben wir heute Nacht wieder große Reden geschwungen?“, spottete Wärter 1 und ließ dabei seinen Metallstab zwischen den Gitterstäben hin und her klimpern. Während Wärter 3 die Arme verschränkte und lachte, trat Wärter 2 dicht an die Zelle heran und sah auf Lazarus herab. Dann ließ er dessen Frühstück fallen, und zertrat es mit seinen Stiefeln. „Hier mein Freund, kauf dir was schönes“, flüsterte er. Die anderen Männer grinsten. „Wenn du dich nur einmal selbst sehen könntest wie du so darliegst“. Lazarus hielt den Atem an. Die Wut stieg langsam in ihm auf und braute sich zu einem unbändigen Sturm zusammen. „Was für ein erbärmlicher Anblick“, sagte der Wärter und spuckte auf meinen Zellennachbarn. Jetzt war es zu viel. Lazarus sprang gepeinigt auf und schrie aus Leibeskräften: „Arschloch! Du gottverdammtes Arschloch!“ Er versuchte, sich zwischen den Gitterstäben hindurchzupressen und die Männer zu packen. Seine Arme griffen vergeblich ins Leere. Wärter 1 begann sofort, mit der Spitze des Metallstabes auf Lazarus‘ Gesicht zu zielen und umbarmherzig zuzustoßen, während die anderen Männer ihre Schlagstöcke zogen und auf die Gitter prasseln ließen. Unter den Insassen brach Panik aus. Die Anstalt war erfüllt von gellendem Geschrei.
Lazarus wich kreischend zurück. Ein Schlag hatte ihn direkt in sein Auge getroffen. Er kauerte sich in der Zellenecke zusammen und wimmerte. Das Blut begann durch seine vor das Gesicht gehaltenen Hände zu strömen. „Das hast du jetzt davon, du gottverdammte Drecksau!“, schrie Wärter 2, „du hast es verdient, hörst du? Du hast es verdient!“ Die Bedeutung dieser Worte versetzte jeden Muskel in Lazarus‘ Körper in einen Zustand höchster Anspannung. In einem letzten Aufbäumen seiner Kräfte sprang er auf und warf sich so fest er konnte wieder und wieder gegen die Gitter. Mit jedem Aufprall bogen sich die Stäbe weiter nach außen, und brachen die Scharniere mehr, das Schloss ächzte. Unter den Schlägen der Wärter, die ihn weiter antrieben als besänftigten, stemmte Lazarus sein Gewicht wie ein Berserker gegen die Zellentüre und schaffte es schließlich sie aufzubrechen. Die Aufseher verstanden, dass die Situation außer Kontrolle geraten war und ergriffen in entgegengesetzte Richtung die Flucht. Lazarus, dessen Raserei nichts auf der Welt hätte aufhalten können, dicht auf den Fersen. Er hatte es auf Wärter 2 abgesehen und schaffte es, diesen zu Fall zu bringen. Der Mann rollte wie eine Puppe über den Boden und prallte gegen die geschlossene Tür am Ende des Ganges. Noch bevor er sich wieder aufrichten konnte, rammte Lazarus dem Wärter mit voller Wucht seinen Schädel in den Magen. Rippen knackten wie die Schale einer Walnus, der Körper des Aufsehers brach in sich zusammen. Man hörte einen dumpfen Schlag als sein Kopf auf der Erde aufschlug. Lazarus prügelte blind vor Hass wieder und wieder mit den Fäusten auf ihn ein, bis das Gesicht des Mannes eine einzige pulsierende Masse war.
Von außerhalb der Halle konnte man die Schreie der geflüchteten Wärter hören. „Nero! Himmel hilf, hat jemand Nero gesehen? Wir brauchen Nero!“ Die Insassen, die dem Spektakel zwar entsetzt doch schaulustig mit ihren Blicken beigewohnt hatten, verkrochen sich beim Klang dieses Namens in die hintersten Ecken ihrer Zellen. Lao-Tse sagte noch „Und wieder einer“, als am Ende des Ganges bereits lautstark eine Tür gegen die Wand geschlagen wurde. Nero zwängte sich geduckt durch den Rahmen und richtete sich in der Halle auf. Er war ein an die vier Meter großes bleiches Monster mit weit nach vorne stehenden Kiefern und dicht in den Höhlen liegenden Augen. Sein voluminöser Brustkorb steckte in einem rüstungsähnlichen Metallpanzer, der sich bei jedem Atemzug sichtbar hob. In seinen riesigen ledrigen Händen hielt er eine längliche Maschine, an deren Oberseite Leuchtdioden blinkten. Das Gerät gab in regelmäßigen Abständen drei Schrille Töne von sich und war über Kabel und Schläuche mit einem schwarzen Batteriekasten verbunden, der um Neros Hüften an einem Gürtel hing. Lazarus ließ, durch die Töne aufgeschreckt, von seinem Opfer ab und blickte auf. Als er Nero in die Augen sah, wichen die Wut und der Zorn aus seinem Gesicht und wurden durch einen Ausdruck reiner Angst ersetzt. Mit nur wenigen gestreckten Sprüngen erreichte Nero das andere Ende der Halle. Er steckte die Maschine ruckartig in ihr Halfter, dann umgriffen seine Hände Lazarus Unterschenkel und rissen ihn in die Höhe. Nero wirbelte den Körper meines Zellennachbarn durch die Luft, als würde er eine Flagge schwenken. Dann schlug er Lazarus wie einen nassen Sack auf den Boden. Das Blut spritzte aus der Nase nach allen Seiten. Lazarus’s Leib durchzuckten tausend Krämpfe. Das Gehirn spielte während des Todeskampfes ein Programm ab, dessen Ziel es war, sich aus Neros Griff zu befreien, doch es war aussichtslos. Lazarus stieß einen so hohen und schrillen Schrei aus, wie ich in meinem Leben noch nie zuvor einen Schrei gehört hatte. Die Hände des Monsters umklammerten ihn fest wie einen Schraubstock und schmetterten seinen Leib so lange auf die schmutzigen Kacheln, bis der Kopf platzte. Als sich mein Zellennachbar nicht mehr bewegte, ließ ihn Nero fallen. Er zog die Maschine hervor, setzte sie an Lazarus‘ Rückgrat an, kniete sich auf ihn und bog seinen Körper nach oben.
Klack!
Nero drückte ab. Durch Lazarus‘ Wirbelsäule fraß sich Metall und drang aus seiner Brust wieder an das Vormittagslicht der Neonlampen.

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